Die Geschichte der Windegghütte

Die erste Hütte auf der Windegg wurde 1891 erbaut (Bild), die vor allem als Jagdhütte diente. 1910 erwarb sie der SAC, welcher sie 1925 aus der schneereichen Mulde an ihren jetzigen Standort verlegte. Am alten Standort sind noch einige Fundamentreste zu sehen. Schritt für Schritt wurde die Hütte ausgebaut. 1965 wurde das Strohlager durch Matratzen ersetzt; später erhielt sie einen neuen Kochherd.

1978 wurde eine neue Terasse gebaut. Da die 12 Plätze nicht mehr ausreichten und die Hütte ständig überbelegt war, wurden Varianten zum Aus- oder Neubau diskutiert.

Die Sektion Bern beschloss dann, eine neue Haupthütte mit 36 Schlafplätzen, einer Küche und einem Hüttenwartzimmer zu bauen. 1986 wurden die Bauarbeiten in Angriff genommen und im Sommer 1987 wurde die neue Hütte planmässig eröffnet.

Gleichzeitig wurde eine Solaranlage installiert. Auf der Südseite der Haupthütte befinden sich Solarpannels, welche die Batterien im Technikraum aufladen. Diese wiederum versorgen die Hütte mit elektrischem Licht, speisen aber auch Kühltruhe und Kühlschrank im Keller. Zusammen mit der Lichtanlage wurde ein Richtstrahltelefon installiert. Seither ist die Windegghütte über 033 975 11 10 mit der Welt verbunden. Das Telefon leistet auch als Nottelefon wertvolle Dienste. Heute läuft das Hüttentelefon über das Mobilnetz und den Sender beim Alpentower im Skigebiet Meiringen-Hasliberg.

Die neue Hütte wurde laufend den steigenden Übernachtungszahlen angepasst. 1990 wurde der Platz vor der Hütte mit Steinplatten belegt und 1992 ein grosser Grill mit Pizzaofen erbaut.

1995 schliesslich wurde das "Dauerproblem WC" gelöst: Eine WC-Hütte wurde gebaut und mit zwei biologischen Kompost-WC's ausgestattet. Parallel dazu wurde ein Boiler installiert, der die Küche bei schönem Wetter mit Warmwasser versorgt. Auf der Südseite der WC-Hütte befindet sich ein Solarpannel, welches einen 300-Liter-Boiler aufheizt. Somit können grosse Mengen Brennholz eingespart werden, welches sonst mit dem Hubschrauber aus dem Tal in die Hütte geflogen werden müsste.

Der schneereiche Winter 1998/99 wurde dann zuviel für die alte Hütte, sie hielt dem hohen Schneedruck nicht stand. Als Nothütte konnte sie jedoch noch genutzt werden, im Sommer 2001 wurde sie aber abgerissen und durch einen neue "alte Hütte" ersetzt.

In den letzten Jahren ist die Wasser- und Stromversorgung verbessert, die Telefonanlage modernisiert und die Beleuchtung mit LED-Lampen ausgerüstet worden. Die WC-Anlage musste an die gestiegenen Besucherzahlen angepasst werden und die Schlafräume wurden mit Not-Leitern versehen. Heute präsentieren sich die Hütten schon beinahe als kleines Dorf.

 

Reportage von Chiara Proplesch (Kanti-Schülerin, Sommer 2018)

Im Schosse von Natur und Urspünglichkeit

Auf dem Weg zur Windegghütte 

Es ist acht Uhr früh. Die Talstation der Triftbahn, welche sich auf der Berner Seite des Sustenpasses befindet, füllt sich langsam mit Leben. Jetzt öffnen sich die Türen. Stickige Luft und ein Dunst Sonnencreme. Es schaukelt. Mit einem Ruck setzt sich das alte, rote Ding in Bewegung. Eingequetscht zwischen sieben anderen Mitfahrenden geht es los. Nur ein einziges schweres Drahtseil lässt die Kabine von Tal- zu Bergstation wandern. Immer nach einem Stützpfosten gibt es kurz dieses unangenehme Gefühl in der Magengegend. Freifall, den es sonst nur auf waghalsigen Achterbahnen gibt, bis man wieder ein wenig Sicherheit verspürt. Die Fahrt vergeht wie im Flug, durch die Glasscheiben zieht die gigantische Berglandschaft vorbei. Noch ist es dämmrig, doch je höher es geht, desto besser ist die aufgehende Sonne zu erahnen, die bald über den Gipfeln hervorblinzeln wird. Hinter einer Bergkuppe taucht die Bergstation der Gondelbahn zwischen Geröllfeldern und steilen, noch leicht begrünten Abhängen auf. Das rote Gebäude leuchtet wie ein Signalknopf vor dem Hintergrund der alpinen Mutter Grün, die jetzt noch eher grau ist, auf. Die Fahrt verlangsamt sich, als das Fahrgeschäft in die Station einfährt. Eine grüne Signallampe leuchtet auf. Die Porte öffnet sich. Ein kühler Windhauch strömt einem entgegen. Der kleine Menschenstrom schiebt sich nach draussen. Ein tiefer Luftzug und die Lungen füllen sich mit frischer Bergluft. Es riecht nach dem herben Duft von Bergkräutern und frischem Gras. Das Rauschen des silbergrau-türkisfarbenen Baches ist nicht zu überhören. Er schlängelt sich tosend durch das ruhige Tal. Gewaltige Kräfte müssen hier am Werk sein. Geblendet von den ersten Sonnenstrahlen sind die saftig-grünen Wiesen nur zu erahnen.

Noch einmal kräftig durchatmen, dann geht es los. Der Weg führt zuerst ein paar noch leicht feuchte Treppenstufen hinunter, bevor er in einen kiesigen Pfad übergeht. Auf einer kleinen Brücke wird der Bach überquert. Eine Weggabelung kommt. Der Pfeiler mit den gelben Tafeln weist einmal nach rechts, ein anderes Mal deutet er nach links und ist schwarz beschriftet. «Windegghütte» prangt darauf. Dahinter eine Zeitangabe von ungefähr zwei Stunden, bis das Ziel erreicht wird. Die SAC-Hütte ist noch Teil des Berner Oberlandes, liegt im Trift- und Sustengebiet und gehört zur Gemeinde Gadmen. Das erste Mal erbaut wurde sie 1891, seitdem fanden aber schon einige Renovierungen statt, so dass sie heute als beliebter Zwischenstopp für müde Wanderer dient. Ein Schwenk nach links und der Weg wird schon etwas schmaler. Rechts und links davon wachsen üppige Bergpflanzen. Unter anderem auch viel Farn. Durch die Bewegung wird es einiges wärmer und die erste Kleiderschicht landet im Rucksack. Es geht über Stock und Stein, die eigene Kondition wird gefordert. Hinter einer Felskuppe sind Stimmen zu hören und ein paar Schritte weiter kommen drei junge Frauen um die Ecke. Allesamt sind sie gut gelaunt. Es wird gegrüsst und da schon länger keine Seele anzutreffen war, kommt es zu einem kurzen Gespräch. «Besucher der Windegghütte?», eine der Frauen lächelt und antwortet: «Ja, die Hüttenwartin ist eine ganz Liebe.» Nach einem «Noch einen schönen Tag» geht es weiter bergaufwärts.

Das Hüttenleben muss schon sehr gewöhnungsdürftig sein. Wenig Kontakt zur Aussenwelt. Abhängig vom Wetter. Bei Sonnenschein volles Haus und kaum eine freie Minute. An schlechten Tagen kaltes Wasser und verloren in der Atmosphäre der einsamen Bergwelt. Hüttenbetreiber gehören zu bewundern. Es benötigt Passion und Willen.

Die Anzahl der Grünpflanzen verringert sich mittlerweile stetig. Plötzlich strahlt die Sonne mit voller Wucht hinter einem Felsen hervor und lässt das ganze Tal in goldenem Schimmer erleuchten und die Farben der Natur intensivieren sich.

Unterdessen werden auch Hände benötigt zum Vorwärtskommen. In der Ferne sind Pfiffe zu hören. Murmeltier oder doch nur ein Vogel, das ist hier die Frage. Der Weg schlängelt sich an riesigen Findlingen vorbei, die der Gletscher hier zurückgelassen hat. Die Giganten sind allseits glatt wie ein Babypopo und wirken wie geschliffene Eisskulpturen. Es riecht nach feuchtem Gestein und es weht immer noch eine angenehme Brise. Und dann, hinter der nächsten Biegung eröffnet sich der Blick auf eine ellenlange, zwischen zwei Felskuppen gespannte Hängebrücke, die über die Schlucht, aus welcher der reissende Bach zu hören ist, führt. Die Triftbrücke. Sie schwebt hundert Meter über dem Boden und ist 170 Meter lang. Sie gilt als eine der höchsten und längsten Fussgänger-Seilbrücken der Alpen. Dahinter liegt ein grosser Gletschersee und ein Stückchen weiter oben der silbern glitzernde Triftgletscher. Der Ursprung des Flusses, welcher die Wanderer dieses Pfades durchgehend begleitet. Noch vor wenigen Jahren konnte die Schlucht über die Gletscherzunge überquert werden. Der Gletscher hat sich in den letzten Jahren durch den Klimawandel schnell zurückgezogen. Am Haltepfosten klebt ein Sticker mit dem Aufdruck: «Druff?». Genau das muss sich wohl schon so manch einer gefragt haben, bevor er den Übergang wagte. Der Boden der Brücke ist schmal und besteht nur aus mit Metallschienen zusammengehaltenen Holzbalken. Die ganze Konstruktion ist mit Drahtseilen im Berg verankert. Der erste Schritt beim Betreten der Brücke geht noch, doch je weiter man sich vorschiebt, umso mehr Unbehagen breitet sich im Inneren aus. Die Brücke schaukelt leicht bei jeder kleinsten Bewegung. Für Leute mit schwachen Nerven ist diese Überquerung nichts. Glücklicherweise ist das Passieren der Brücke kein Muss, um zur Hütte zu gelangen, doch das Abenteuer lohnt sich.

Der letzte Anstieg ist der Mühsamste. Die Route bahnt sich an Felsen vorbei und über Steininseln. Alles sieht grau und gleich aus, die einzigen Lichtblicke sind die weiss-rot-weissen Wanderwegkennzeichen, nach denen immer Ausschau gehalten wird. Es ist wie eine Schatzsuche, unsere Motivation, unser Ziel - die Windegghütte. An manchen steilen Stellen sind Eisenketten angebracht als Unterstützung, sie verströmen einen unangenehmen Duft nach nassem Metall. Voller Körpereinsatz ist gefragt. Wie lange es wohl noch geht, ist der Gedanke, der über allen Köpfen schwebt. 

Und dann, nach dem letzten Felsen, der noch zu überwinden ist, eröffnet sich die Sicht auf ein begrüntes Plateau, in dessen Mitte zwei Hüttchen stehen. Die eine ist ganz aus von der Sonne gebleichtem Holz und etwas kleiner. Die grössere hat Fassaden aus Stein, die an manchen Stellen verkleidet sind. Auf dem Dach spiegeln Sonnenreflektoren das Himmelslicht. Ein paar letzte Höhenmeter geht es hinunter bis vor ein paar Steinstufen, die auf die einladende Terrasse führen, welche talwärts blickt und mit hölzernen Tischen und Bänken beschmückt ist. Vor dem Eingang steht ein Schild: «Willkommen auf der Windegghütte auf 1887 m.ü.M.» Aus der Hütte riecht es nach Grillkost, vermischt mit dem Duft der lecker aussehenden Kuchen und Torten, die auf einem Tisch neben der Eingangstür stehen. Von Linzertorte und Apfel-Streuselkuchen bis zu Zwetschgenwähe und Cheesecake geht das Angebot. Aus dem Inneren der Unterkunft sind klirrendes Geschirr und eine piepsende Eieruhr zu hören. Durch das Betreten der Hütte landen wir in einem kleinen Vorraum, von dem eine leiterartige Treppe ins Obergeschoss führt und drei Türen abgehen, von welchen eine speerangelweit aufsteht und den Blick auf eine vollgestopfte Küche freigibt, die gerade mal fünf Quadratmeter gross ist. Hinter dem Herd steht sie. Gelernte Köchin mit einer Schürze um die Hüften in den Töpfen rührend, die mit Gas erhitzt werden. Die Hüttenwirtin. Ein Job mit viel Verantwortung und Erfahrung und vor allem muss man es gerne tun. Erst diesen Sommer hat sie die Hütte übernommen. Durch Aushelfen auf anderen Hütten konnte sie schon einiges an Erfahrung sammeln und doch ist es wieder etwas Neues. Sie dreht sich um und es gibt ein grosses Hallo. Da auf der Terrasse einige hungrige Wanderer sitzen, hat sie viel zu tun und schlägt vor, dass wir uns erst einmal nach draussen in die Sonne begeben und bedienen lassen sollten. Nichts besser als das und wenig später stehen ein Kartoffelsalat und dampfende Bratwürste auf dem Tisch. Es riecht köstlich. Zwei junge Herren in Wanderhosen, leicht verschwitzt, kommen die Treppen hinunter. «Läck, händ ihr es schön da!», kommt es vom einen. Vom Tisch nebendran sind ebenfalls Gesprächsfetzten in Thurgauer Dialekt und Kameraklicke zu hören, eine Familie, die gerade ein Erinnerungsfoto vor der atemberaubenden Bergkulisse schiesst. Auch für mich als Flachlandidiotin ist dieses Panorama einzigartig.

Nachdem der Mittagsansturm bewältigt, das Meiste unter Dach und Fach gebracht ist und alle sich zufrieden gesättigt in der wärmenden Sonne ausruhen, gibt es eine kleine Hüttenführung. Im Entrée der Unterbringung steht ein grosses Holzregal mit Hausschuhen in allen möglichen Farben und Grössen. Die knarrende Treppe hinauf kommt man zu vier Zimmern. Das Eine, ausgestattet mit sieben Betten, hat sogar noch eine Leiter zum Estrich, wo nochmals fünf Schlafplätze sind. In den Gemächern riecht es nach der blauen Bettwäsche und den alten Holzdielen. Die anderen Kammern haben je acht Betten und sind alle einfach, aber praktisch eingerichtet. «Ein Fünf-Sterne-Hotel ist es nicht, doch es reicht komplett aus!», sagt die Wirtin mit einem Schmunzeln. Im Erdgeschoss befinden sich neben der Küche noch ein kleines Büro, welches ebenfalls mit einem Doppelbett ausgestattet ist und der Esssaal, der liebevoll eingerichtet ist und einen Kamin beherbergt. Dann geht es in den Keller, wo alles gelagert wird, da der Helikopter mit der ganzen Versorgung immer nur einmal pro Woche geflogen kommt. «Was und wie viel eingekauft wird», sagt die Gastgeberin, «müssen wir immer gut abwägen. Der Heli darf nur 800 Kilo laden.» Sogar einen kleinen Weinkeller mit einigen guten Tropfen hat es. Auch ein Blick in das kleinere Hüttchen weiter oben wird geworfen, in welchem sich auch noch fünf Schlafplätze befinden. Das ist aber nur dann im Einsatz, wenn das ganze Haus ausgebucht ist.

Von der Terrasse duftet es nach Kaffee, dazu gibt ein leckeres Stück Kuchen. Auch die Herrin des Hauses gönnt sich ein kleines Päuschen. Auf die Frage, wie denn das Hüttenleben so sei, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: «Streng, aber schön! Mir gefällt’s, es den Leuten angenehm zu machen. Auch die wenigen Ressourcen, die hier oben zur Verfügung stehen und mit denen man auskommen muss, sind eine Herausforderung. Zu wissen, dass nicht alles selbstverständlich ist auf dieser Höhe, in einer solchen Umgebung. Wenig Strom, wenig Waren, ich muss überlegen, wie ich es gut aufteilen kann. Wenn ich es einfach hätte haben wollen, hätte ich auch im Tal etwas anfangen können.» Die letzte Saison sei sehr gut gelaufen und wenn es dann mal nicht so prickelndes Wetter hat, gibt es Dinge zu tun wie zum Beispiel das Aufräumen oder etwas reparieren.  «Schönes Wetter bedeutet viele Wanderer und das heisst viel zu tun, da kommt es schon mal vor, dass man mal den Wunsch verspürt, im Pyjama einfach umez’hocke und einen halben Tag nichts zu tun», wie die Hüttenwartin grinsend verrät. 

Mit den letzten Krümeln im Mund werden Rucksäcke und Wanderstöcke wieder montiert und es geht langsam Richtung Abstieg. Ein letztes Foto wird geschossen, jetzt, wo die Sonne sich gedreht hat. Der Abschied fällt schwer, doch ein Wiederkommen ist in Stein gemeisselt.

Alle sieben Sachen unter den Armen geht es wieder talwärts. Mit vielen schönen Eindrücken im Gepäck, sind die Köpfe schon am planen: «Ein wundervoller Ausflug, wann geht’s das nächste Mal rauf?»